Polizeigewalt und Trommelzug – Nachbericht zur Kundgebung „QUERDENKEN441″ am 05.07.2020

Am vergangenen Sonntag, den 05.07.2020, folgten ca. 120 Verschwörungsgläubige dem Aufruf der antisemitischen Gruppe „QUERDENKEN441“ (ehm. „Menschenwürde Demo Oldenburg“), um auf dem Pferdemarkt an einer Kundgebung mit anschließendem „Trommelzug“ teilzunehmen. Die antifaschistischen Gegenproteste wurden dieses Mal von einem massiven Polizeiaufgebot der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) Oldenburg unter laut geäußerter Begeisterung der Verschwörungsideolog*innen angegriffen. Es folgt ein Nachbericht.

Die „QUERDENKEN441“-Veranstaltung unterschied sich in einigen Punkten von den vergangenen Kundgebungen; So sollte sie den Anfang einer „Sommerpause“ für die nach eigenem Verständnis im Widerstand befindlichen Veranstalter*innen einleuten und zum ersten Mal mit einer Laufdemonstration verbunden werden. Zudem wurde der antifaschistische Gegenprotest von der BFE Oldenburg, die erstmals im Rahmen der „Querdenken441“-Kundgebungen eingesetzt wurde, von Anfang an unverhältnismäßig aggressiv und autoritär angegangen.

Bei der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit handelt es sich nicht um normale Streifenpolizist*innen. Die Truppe, die überwiegend aus Männern besteht, ist als gewaltaffin bekannt. Im Oldenburger Stadtteil Bloherfelde trainiert sie regelmäßig das Vorgehen gegen Demonstrant*innen. Schon in der Vergangenheit stand die Einheit mehrfach wegen Übergriffen und Fehlverhalten in der Kritik (Link, Link, Link).

Sobald sich der Gegenprotest vor Ort bildete, wurden von der Polizei Auflagen für den Protest verlesen. Diese waren erstmals so formuliert, dass das Halten von Transparenten oder das Verteilen von Flyern für die Antifaschist*innen hätte verunmöglicht werden können.
Im Gegensatz zur „QUERDENKEN441“-Kundgebung wurde der Gegenprotest trotz Einhaltung der verschärften Auflagen regelmäßig von Polizist*innen gegängelt sowie provoziert und beschimpft.
Neben der üblichen Anwesenheit des Staatschutzes sorgten außerdem Zivil-Polizist*innen und das konfrontative Verhalten der BFE Oldenburg für ein Bild der Einschüchterung und Kriminalisierung im Bezug auf die Gegenproteste.
Dieses Handeln der Polizei gipfelte kurz nach Beginn des Trommelzuges um ca. 16:20 Uhr in gezielter Gewalt gegen die Antifaschist*innen, die den Zug mit lautstarkem Protest begleiteten.


(Foto: Frithjof Smith)

Ohne vorherige Durchsagen oder tatsächlich stattfindende Blockaden, wurden etwa 20 Genoss*innen von dutzenden BFE-Einheiten überrannt und teilweise durch Faustschläge auf Kopf und Gesicht, Zerren, Schubsen und Tritte verletzt. Mehrere Antifaschist*innen die versuchten, vor den gewalttäigen Polizist*innen wegzurennen, wurden in vollem Lauf durch gezielte Schläge und Tritte zu Boden gebracht.


(Foto: Frithjof Smith)


(Foto: Frithjof Smith)

Die festgehaltenen Menschen wurden daraufhin von der Polizei als Versammlung deklariert, wenngleich sie erst durch den Polizeikessel in diese Situation gezwungen wurden.
Obwohl kein*e dort festgehaltene*r Antifaschist*in freiwillig an der „Versammlung“ teilnahm und eine Person außerhalb des Kessels von der Polizei zur „Teilnahme“ gezwungen wurde, verlangte die Polizei eine Versammlungsleitung sowie das Einhalten eines Mindestabstandes von zwei Metern – ungeachtet dessen, dass die Größe des Kessels dafür deutlich zu klein gehalten wurde. Während der ca. 15 minütigen Dauer des Kessels kam es vermehrt zu schikanierenden Ansprachen einzelner Polizist*innen, wie „Heul doch“ oder „Habt ihr Angst?“.


(Foto: Frithjof Smith)

Der „Trommelzug“ zog derweil feixend und klatschend an den verletzten und festgesetzten Antifaschist*innen vorbei, was in Kontrast zu ihrer propagierten Friedliebigkeit und der lautstark eingeforderten Menschenwürde steht. Ihren lediglich 15 minütigen „Trommelzug“ konnten die Verschwörungsgläubigen dank der erfolgten Polizeigewalt weitgehend ungestört beenden, auch, wenn bereits beim Start der Kundgebung um 14:30 Uhr die wenigsten Teilnehmer*innen einen Mund- und Nasenschutz trugen oder den Mindestabstand zueinander oder zu den Gegenprotesten einhielten.

Dieser erwartbare Umstand wurde jedoch kurz vor dem Beginn des „Trommelzuges“ um 16:15 Uhr noch einmal von einem Redner übertroffen, der explizit dazu aufrief, den Mundschutz abzunehmen, was unter den Teilnehmenden für reichlich Beifall sorgte. Dass der „Trommelzug“ trotz dieses Verhaltens von der BFE gewalttätig durchgesetzt wurde, ist schlicht nicht nachvollziehbar.


(Foto: Nutshell Fotografie)

Friederike Pfeiffer-de Bruin, die auf Facebook ankündigte, „Rockerlinge“ auf die Gegenkundgebung zu hetzen, ruderte zurück und behauptete auch, dass keine Fotos gemacht und keine Listen geführt werden würden. Allerdings riefen sie in einer Telegram-Gruppe vor einigen Wochen dazu auf, Bilder und Namen an eine angegebene E-Mail Adresse zu schicken, wenn sie Probleme mit der Antifa oder nahestehenden Personen hätten. Auch an diesem Sonntag wurde der Gegenprotest wieder fotografiert und gefilmt; Sowohl von Teilnehmer*innen der Veranstaltung, als auch von den Kameras der Youtube-Kanäle „Tu was“ – betrieben von Hermann Jack (DIE LINKE Oldenburg) und „NewsHQ“.

Zu den Gästen

Von den geladenen Gästen erschien nur Hajo Köhn. Sein langer, trocken formulierter Redebeitrag sorgte dafür, dass das Publikum schnell das Interesse verloren haben dürfte. Heiko Schöning blieb aus bislang unbekannten Gründen der Kundgebung fern.

Das offene Mikrofon wurde erneut auch von Anke Wolff in Anspruch genommen.
Wolff sprach bereits am 31.05.2020 auf dem Pferdemarkt. Sie machte damals deutlich, dass sie den Virus nicht sehen und deswegen seine Gefährlichkeit nicht einschätzen könne. Den Medien würde sie auch nicht glauben, denn sie sei ja nicht dabei gewesen und die Berichterstattung wäre gesteuert und einseitig. Was genau sie damit meinte, führte sie allerdings nicht aus. Die Coronamaßnahmen betreffend sagte sie: „Ich sehe keine tausenden Toten über den Zaun hängen, die diese Maßnahmen rechtfertigen würden“.
Kritik daran, dass die Veranstaltungen zu weiterer Ansteckung und somit auch potenziell zu weiteren Toten führen könnten, wird mit dem Vorwurf der Polemik abgeschmettert: „Das Gegenargument, wir riskierten, dass Arme, andere Menschen unseretwegen und durch unseren Ungehorsam krank werden und sterben könnten, lehne ich als schwer polemisch ab, weil es ist nicht real, ich sehe es nicht“.
Am vergangenen Sonntag sollte sie über Sucht sprechen, driftete aber dann wie zuvor angekündigt, in eine ausschweifende Abhandlung über gierige, parasitäre Eliten ab. Immer wieder sprach sie davon, dass die Bevölkerung von kranken, gierigen Finanzeliten regiert werden würden, welche süchtig nach materiellem Wohlstand wären und deshalb maßlose Akkumulation von Reichtum und Macht betrieben. Hierbei verglich sie die vermeintliche Gier nach Geld und Besitz mit dem Suchtdruck von drogenabhängigen Menschen.


(Foto: Nutshell Fotografie)

Auch Reiner Mäcke nutzte das Offene Mikrofon vergangenen Sonntag. Bekannt ist er uns schon von früheren Mahnwachen der „Corona Rebell*innen“.
Am 02.05.2020 ließ er sich von Markus Fiedler aka „Wikihausen“ interviewen. Sowohl am 02.05. als auch am 05.07. trug er ein T-Shirt von Schrang TV, das einen goldenen Kreis mit einem Punkt in der Mitte zeigt.
Das Shirt findet sich im Onlineshop von Heiko Schrang.
Sein Youtube Kanal Schrang TV, ist einer der einflussreichsten, verschwörungsideologischen Youtube Kanäle in Deutschland. In seinen selbstverlegten Büchern versucht er zu beweisen, dass eine geheime, von jüdischen Bankiers gegründete Weltregierung (genannt werden auch angebliche moderne Illuminaten) missliebige Personen ausschalten lässt und versucht, die Weltherrschaft zu erlangen (vgl. Psiram Artikel über Schrang). Schrang ist der Meinung, dass die aktuelle Medienberichterstattung über Covid-19 nur dazu diene, „Bargeld abzuschaffen, Zwangsimpfungen durchzuführen und Bürger zu chippen“.
Reiner Mäcke ist da also in guter Gesellschaft, mit seinem Wettern gegen die „Mainstreammedien“.

Am vergangenen Sonntag nahm auch Enno Samp, Mitglied der AfD und des Oldenburger Kreises (Link, Link) an der Veranstaltung teil.
Auch er ist eine der Personen, die ohne jede Mund-Nasen-Bedeckung an der Veranstaltung teilnahmen.


(Foto: Nutshell Fotografie)

Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung von André Maris, aus der Nähe von Bielefeld.
Auch für die Querdenken Demo am 11. Juli in Stuttgart ist er gebucht. Er bezeichnet seine Musik als „Spirit-Pop“.
In seinem Lied „Wach“ singt er Zeilen wie:
„Warum werden Wissenschaftler nicht gehört? Sie haben sich bereits öffentlich empört
Wo sind die Argumente für diesen Lockdown? Die Erklärungen bisher reichen wohl kaum.
Es geht wie immer ums Geld, es geht um neue Gesetze und um ne neue Welt
und wir zusammen sind das Volk und wir zusammen sind stark“.
Also auch hier die bereits bekannten Fragen und Themen.

Obwohl inzwischen mehrfach Personen des rechten Spektrums, wie z.B. Imke Barnstedt und Mitglieder von BBN (Blood Brother Nation) an den Veranstaltungen teilgenommen haben, gab es bis jetzt keine ernstzunehmende Distanzierung der Demo Orga.


(Foto: Nutshell Fotografie)


(Foto: Nutshell Fotografie)

Für sie wäre das Ausschließen „andersdenkender“ Personen eine Straftat und bei ihnen dürften alle teilnehmen. Es widerspricht allerdings ihrer verbalen Distanzierung von Extremismus, wenn sich Rechte an der Kundgebung aktiv beteiligen können. Wer mit AfDler*innen demonstriert, teilt auch ihre Inhalte. So teilten die beiden de-Bruin Schwestern auf Facebook einen Beitrag einer AfD Politikerin, mit den Worten „egal, von welcher Partei“ und „die AfD ist böse und so und böse Menschen darf man nicht zitieren, nicht teilen, nicht mal daneben stehen“.
Eine Distanzierung von Rechts sieht anders aus.